(Erste) Erprobungserfahrungen und Projektstandards
„Wenn Kinder selbst programmieren/Code schreiben, dann
Bescherer & Fest, 2019, S. 118
– begreifen sie die Abstraktionen, die den Kern der Mathematik darstellen
– modellieren sie dynamisch mathematische Konzepte und Beziehungen
– gewinnen sie Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten und ihr Wirken als Mathematiklernende“
Nach nunmehr fast 2 Jahren Projektarbeit (wenngleich unter durch COVID-19 erschwerten Bedingungen) sollen nun erste Projekterfahrungen und die Konsequenzen daraus für die weitere Projektarbeit dargestellt werden. Gestartet ist das Projekt mit einer Reihe von Grundideen, von denen bewährte zu Projektstandards erklärt werden können, andere wiederum zu einer Neuorientierung veranlassen.
- Grundidee: Scratch ist eine grundschulgeeignete Programmierumgebung. Dieser Grundsatz wurde und wird in vielen Bezugsstudien genannt und kann durch die Projekterfahrung bestätigt werden. Das Handling der Blockcode-Elemente ist für die Kinder intuitiv, ebenso erschließen sie sich schnell die Funktionen einzelner Codeblöcke. Für mathematische Projekte ist Scratch aber zum Teil limitiert (beispielsweise die verkettete Ausgabe iterativ erzeugter Teillösungen), es konnten aber im Projekt Lösungen dafür gefunden und erprobt werden. Scratch ist damit als Standard für ProMaPrim gesetzt.
- Grundidee: ProMaPrim Dreischritt. Für ProMaPrim wurde als grundsätzliche Unterrichtsabfolge formuliert: Zuerst (wie in vielen Bezugsstudien) ‚unplugged‘ Mathematik ‚mit Papier und Bleistift‘ treiben, dann den algorithmischen Kern in der Programmierumgebung abbilden, dann (als innovative Projektidee) wieder mit Hilfe des digital abgebildeten Algorithmus erneut Mathematik treiben (‚digitales Werkzeug‘). Aus dem ersten Projektabschnitt der vergangenen Jahre hat sich gezeigt, dass sich diese Grundidee als äußerst tragfähig erwiesen hat und zum Projektstandard erklärt werden kann. Beispielsweise konnte nachverfolgt werden, wie Kinder auf algorithmische Elemente der Paper-Pencil-Tätigkeit zurückgriffen, um in Scratch digitale Algorithmen selbst entdeckend, problemlösend, ggf. voneinander abweichend ‚konstruierend‘ (Schwätzer 2022) zu programmieren. Lernziel ist dabei nicht primär das Programmieren als solches, sondern dessen Beitrag zur Entwicklung des algorithmischen Denkens, da im Transferprozess die algorithmische Struktur des mathematischen Problems expliziert wird.
- Grundidee: Grundsätzlich haben die Kinder im Projekt in Partnerteams gearbeitet, sowohl analog als auch digital. Das ‚Pair-Programming‘ erwies sich dabei erwartungsgemäß (vgl. Iskrenovic-Momcilovi, 2019) als Schlüssel zum Erfolg und kann ebenfalls als Projektstandard deklariert werden.
- Grundidee: Einfaches Dateihandling. Ebenfalls aus Bezugsstudien übernommen wurde die Idee, dass Kinder für kleinere Programmierprojekte kein komplexes Dateihandling (bspw. Anmelden in Accounts etc.) benötigen. Hier hat sich der Zugang zu den Programmierprojekten über die eigens geschaffene Plattform 3yp.de äußerst bewährt, die Kinder können wir unproblematisch auf vorbereitete Programmierumgebungen in Scratch zugreifen. Im anstehenden Erprobungsabschnitt wird diese Plattform ausgeweitet zur Bereitstellung weiterer digitaler Angebote (Arbeitsanweisungen, Lernvideos) über die weiterhin vorhandenen Zugänge zu Scratch hinaus.
- Grundidee: Scaffolding durch Programmablaufpläne. Aus der Erfahrung der Projektvorarbeit von Schwätzer (2018) entstand die Idee, Programmablaufpläne (PAP) als Mediatoren zwischen der analogen und der digitalen Algorithmik einzusetzen, da PAPs den algorithmischen Kern der Probleme kompakt darstellen können. Auf der einen Seite erwies sich der Einsatz eines PAP im Modul ‚Teilen mit Rest‘ als gewinnbringend, auf der anderen Seite wurde aber deutlich, dass diese Darstellungseben früher und sinnstiftender eingeführt werden müsste. Im kommenden Projektabschnitt wird daher die Einführung und Benutzung von PAPs bereits im Basismodul erprobt und evaluiert. Alternative Scaffolding-Elemente aus Bezugsstudien wurden im ersten Erprobungsabschnitt ebenfalls evaluiert (z.B. die Zwischenstufe ‚Papier-Scratch-Blöcke‘ oder das Trail-and-Error-Programming) und als nicht zielführend eingeschätzt.
- Grundidee: Einsatz von ‚half-backed Microworlds‘. Diese von Kynigos (2007) eingeführte Idee beschreibt das Arrangement von Programmierumgebungen, in denen bereits ein Teil des Codes vorgefertigt ist (beispielsweise Startbedingungen, Variablen, Ausgabe-Unterprogramme), um Hürden für die Grundschule abzubauen, und ein weitere Teil des Codes in Form von bereitliegenden Puzzlestücken vorhanden sind, die so arrangiert sind, dass ein hoher Aufforderungscharakter besteht, in der Programmierumgebung das gegebenen Problem zu lösen und diese konstruierend zu einem fertigen Programm zusammenzusetzen. Zum einen erwiesen sich diese ‚half-backed Microworlds‘ in der ersten Erprobungsrunde als geeignetes Scaffoldinginstrument auf dem Weg zu funktionsfähigen Programmen, aber ebenso als wirksame Fokussierungsmaßnahme auf algorithmische Kerne, etwa wenn (nur) noch jene die algorithmische Kernidee enthaltende Schleife rekonstruiert werden sollte. Zum anderen zeigte sich in der Erprobung, dass die ‚Backstufe‘ gut justiert sein muss, um den Grad zwischen zu großer Offenheit und zu hoher Instruktion passend zu treffen. Das Bereitstellen von solchen halbfertigen Programmierumgebungen kann somit ebenfalls als ProMaPrim-Projektstandard gesetzt werden.
- Grundidee: Basis- und Mathe-Module. Der ‚Kurs‘ sollte aus einem Basismodul bestehen, in dem alle Grundlage für die Arbeit mit den Projektmaterialien gelegt werden und die für die Grundschule relevanten Grundideen der Informatik (Sequenz, Schleife, Bedingung) eingeführt werden, und zunächst einem Mathe-Modul ‚Teilen mit Rest‘. Dabei ist die Idee, einen ‚Kurs‘ aufzusetzen, in der Erprobung stark hinterfragt worden. Der bestehende ‚Kurs‘ war zum Teil zu geschlossen, zu deduktiv, zu instruktiv, so dass in Zukunft eher der Begriff ‚Lernumgebung‘ verwendet werden soll, und auch inhaltlich in eine offenere, aber gleichsam strukturiert anregende Richtung gedacht werden soll, die Raum schafft für ‚konstruierendes Programmieren‘ (Schwätzer 2022). Die Grundidee, zunächst in einem jetzt mehrteiligen Basismodul die Grundlagen für spätere, thematisch orientierte Mathe-Module zu legen, wird aber beibehalten und im kommenden Projektabschnitt erneut evaluiert.
- Grundidee: Karteikarten. Der ‚Kurs‘ wurde in Karteikartenform konzipiert, da viele Bezugsstudienargumente dafürsprachen (vgl. Geldreich et al. 2019). Das Karteikartenformat hat sich nicht wie erhofft als zielführend erwiesen. Trotz der Bemühungen, den Karteikarten-Kurs kompakt zu halten, wurde dieser zu komplex und damit nicht gut handhabbar. Die Lehrkräfte sahen in der Klassenerprobung Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis. Zudem war es problematisch, etwa Aufgaben mit instruktional-einführendem Charakter in das Kursformat zu bringen, da hier komplexe Textanweisungen notwendig waren. Für den kommenden Erprobungsabschnitt wird daher das Karteikartenformat aufgegeben und für die überarbeiteten Lernumgebungen auf eine Kombination gesetzt von möglichst rudimentären Paperware-Elementen (Laufkarten und wenn nötig einzelne Arbeitsblätter), verbunden mit digital präsentierten Arbeitsanweisungen in einfacher Text-Sprache in Kombination mit Erklär- bzw. Aufgabenvideos, in denen in gesprochener Sprache und nonverbal Inhaltselemente dargeboten werden.
Auf der Grundlage dieser Projekterfahrungen und gesetzten Standards beginnt nun die zweite Erprobungsphase des Projektes. Die dazu entworfenen Medien können Sie unter Materialien einsehen, ebenso ein Archiv der Materialien der ersten Projektphase. Die zitierte Literatur ist auf der Seite Literatur zusammengestellt.